Das 100 Millionen-Experiment
Erste Phase der Dekontaminierung in Da Nang abgeschlossen

Zusammengestellt von Günter Giesenfeld

Der vietnamesische Vizeverteidigungsminister General Nguyen Chi Vinh und der US-Botschafter in Vietnam Ted Osius haben in Da Nang die Zwischenergebnisse der Bodenentseuchung von Dioxin am Flughafen von Da Nang bekannt gegeben. Daran nahm unter anderen auch Vizepremierminister Vu Duc Dam teil. General Vinh sagte, die Bodenentseuchung von Dioxin am Flughafen von Da Nang sei aus technischer Perspektive erfolgreich verlaufen. Dabei betont er, man habe technisch bei diesem Projekt Neuland betreten und den Umgang mit den verwendeten Verfahren erst lernen müssen. „Je mehr wir unsere Kenntnisse verbessert haben, desto effektiver wurde die Arbeit. Ich glaube, dass das Projekt erfolgreich gelöst werden wird.“

Die Betreiber des Projekts: die US-amerikanische Organistin USAID und das vietnamesische Verteidigungsministerium gehen offensichtlich davon aus, dass die prinzipielle Frage geklärt ist, ob Dioxin aus kontaminiertem Erdreich entfernt werden kann oder nicht: es kann, wenn auch mit sehr großem Aufwand. Der im Anlesetext zitierte Artikel in der vietnamesischen Voice of Vietnam online1 berichtet über eine Feier anlässlich des Endes der ersten Phase des großen, vor allem in den USA mit großer Medienberichterstattung begleiteten Projekts. Zufriedenheit mit dem Erfolg und Zuversicht für die zweite Phase des Projekts bestimmten den Ton der Berichte in der US-amerikanischen und vietnamesischen Presse.

In der Stadt Da Nang, wo dieses spektakuläre Projekt realisiert wird, leben nach den Recherchen der DAVA, der Vereinigung der Opfer von Agent Orange/Dioxin in Da Nang, noch immer etwa 5.000 Menschen, die an den Spätfolgen des Chemiewaffeneinsatzes leiden. Ihre Zahl wird sich auch mit dem Lauf der Zeit kaum ändern, denn es kommen immer wieder neue hinzu, die jetzt erst geboren werden, und ein Ende ist nicht abzusehen2. Dies sei erwähnt, weil diese Opfer kaum irgendeine Hilfe aus dem reichen Land jenseits des Pazifik zu erwarten haben.

Der Umwelt wird geholfen, den Opfern nicht

Als Präsident Obama im Mai Vietnam besuchte, um die Beziehungen beider Länder weiter zu festigen, hatten die USA ihre Bereitschaft erhöht, auch bei der Heilung noch andauernder Wunden zu helfen, sogar solchen, die durch Agent Orange und andere chemische Entlaubungsmittel hervorgerufen wurden. Das wichtigste Projekt ist in diesem Zusammenhang seit 2012 die Beseitigung eines der so genannten „hot spots“ der Vergiftungsaktionen des Vietnamkriegs. Der Flughafen von Da Nang war im Krieg einer der größten Militärstützpunkte in Vietnam und der größte Lagerplatz für die chemischen Stoffe, die durch von hier aus startende Flugzeuge und Hubschrauber weiträumig auf die landwirtschaftlichen Gebiete und Urwälder Südvietnams versprüht wurden.

Das inzwischen über 100 Millionen US-$ teure Projekt ist eigentlich nur eines von vielen, die eigentlich noch folgen müssten. Bei aller neuen Freundschaft zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern sind die USA jedoch nicht bereit, auch nur einen Bruchteil solcher Gelder aufzuwenden, um den Opfern zu helfen. Sie haben Angst, ein politisches und juristisches Minenfeld zu betreten und halten an ihrer These fest, es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis für den Zusammenhang zwischen Agent Orange und seinen gesundheitlichen Folgen. Die Folgen für die Umwelt dagegen sind sie bereit, einzugestehen, denn die Natur kann keine Prozesse um Schadenersatz führen.

Nur über den Umweg privater Organisationen ist man neuerdings bereit, ein klein wenig Hilfe zu leisten. Dieses Jahr bewilligte der Kongress immerhin 7 Millionen US-$ für die Hilfe bei „gesundheitlichen Problemen und bei Behinderungen“, und zwar ohne die früher geltende stillschweigende Vereinbarung, dass diese Hilfe nicht Agent Orange-Opfern zugute kommen dürfe.

„Wir haben keine Angst vor allgemein anerkannten wissenschaftliche Untersuchungen, die als Ergebnis eine Verbindung zwischen Dioxin und diesen physischen oder psychologischen Behinderungen konstatieren,“ sagte Tim Rieser, Sprecher von Senator Patrick J. Leahy. „Die Vereinigten Staaten erkennen durch unsere Aktion nur an, dass es vielleicht eine kausale Verbindung gibt und dass sich nur daraus für uns eine Verpflichtung zum Helfen ergibt.“ – Betonung auf „vielleicht“.

„Die US-Regierung wird Agent Orange niemals einfach übergehen können“ sagt Suel Jones von den Veterans for Peace, der im Vietnamkrieg als Marine gekämpft hat, „die moralische Verantwortung bleibt. Sie mögen sagen was sie wollen, aber die Tatsache bleibt, dass wir Gift auf dieses verdammte Land versprüht haben.“3

Alle Bemühungen in Vietnam, den USA und der ganzen Welt haben bis jetzt den von der US-Regierung verlangten „direkten Beweis“4 für den Zusammenhang zwischen Agent Orange und den Folgen nicht führen können. In den entwickelten Ländern wie den USA wird nicht in diese Richtung geforscht, weil es niemanden interessiert, vor allem nicht die Regierung, die dafür Geld bereitstellen müsste. Solche Mittel stehen schon gar nicht bereit in einem sich entwickelnden Land, in dem noch aktuell bestehende Gefahren der Vergiftung zu bekämpfen sind. Vietnamesische Forscher gehen davon aus, dass vermutlich 3 Millionen Menschen an gesundheitlichen Problemen leiden, die mit Agent Orange zusammenhängen – wenn man alle diejenigen Kranken mitzählt, die im Bereich von hot spots oder an Orten intensiver Besprühungen leben. Aber inzwischen mehrfache Versuche, diese Befunde zur Grundlage für Schadenersatzforderungen zu machen, sind alle gescheitert – so etwa die Klage mehrerer Opfer gegen die Chemiekonzerne.

Da ist die Umwelt doch ein wesentlich unproblematischerer Ansatz für Engagement im Rahmen neuer freundschaftlicher Beziehungen, daher die mit einer umfangreichen Medienkampagne verbundene Aktion in Da Nang. Was nicht bedeutet, dass sie nicht wünschenswert und auch eine beachtliche und nützliche Sache ist.

Der Große Ofen

Ein großer Teil des Dioxins in der Landschaft hat sich inzwischen selbst aufgelöst und stellt kein Problem mehr dar5. Dioxin hat dort eine Halbwertzeit von bis zu 5 Jahren an der Erdoberfläche oder in Gewässern, tief unter der Erde allerdings bis zu 100 Jahren.6 Bei den hot spots ist davon auszugehen, dass sie sich auch in Jahrzehnten nicht selbst auflösen, denn hier ist die Verseuchung extrem konzentriert.

Für Vietnam hat ein kanadisches Forschungsunternehmen drei Haupt-hot spots ermittelt. Es sind die wichtigsten Lagerplätze der zur Sprühung vorgesehenen Giftstoffe. Es ist aus vielen Berichten bekannt, dass an diesen Orten mit den Fässern sehr unvorsichtig umgegangen wurde. Die US-Army hatte den eigenen Soldaten gegenüber die Gefährlichkeit der Stoffe, mit denen sie umzugehen hatten, immer geleugnet oder heruntergespielt. Deswegen wurde auf die Sicherheit kaum geachtet, und Leckagen in alten Behältern ließ man einfach im Boden versickern. Weitere Lagerplätze, etwa 24 kleine hot spots gibt es in Vietnam auch noch.

Seit 2012 sind nun Männer in weißen Hazmat7-Anzügen neben dem aktuellen Flughafen damit beschäftigt, das Areal der früheren Basis zu säubern, während über ihnen die Flugzeuge starten und landen. Sie tragen die Erde ab und bringen sie in eine Art riesigen Ofen. Wenn dieser mit etwa 45.000 m³ Schmutz beladen ist8, wird er mit Betonblöcken verschlossen. Von oben werden dann Heizelemente in die Ladung eingeführt und das Ganze erhitzt.

Mindestens einen Monat lang wird dies auf mindestens 335 Grad Celsius erhitzt. Damit sollen alle Giftstoffe, mit denen der Boden kontaminiert ist, neutralisiert werden. Die übrig bleibende Masse soll als Baustoff dienen für eine neue Landebahn für Privatjets.

Die Kosten für das Projekt waren zunächst auf 43 Mio. US-$ geschätzt worden. Es sollte bis Ende diesen Jahres fertig sein. Aber Pannen und Verzögerungen haben die Kosten auf 100 Mio. US-$ in die Höhe getrieben und das Datum der Fertigstellung auf 2018 verschoben9.

Projektmanager und Mitarbeiter von USAID behaupten, die beiden ersten Durchgänge hätten bewiesen, dass das Dioxin, bis auf einen kleinen Rest, dadurch beseitigt worden sei.

Es wird aber auch berichtet, dass durch die Arbeiten an diesem Projekt möglicherweise neue Probleme entstanden sind: Ein See in der Nähe, wo traditionell Fische aus dem Wasser geangelt werden, sei neuerdings wieder kontaminiert, und es hätte viele neue Opfer gegeben. An der Stadtgrenze sei ein Hilfezentrum von ausländischen Geldgebern erbaut worden, in dem Kinder und Erwachsene mit Behinderungen gepflegt und, soweit sie nicht zu krank sind, durch Bildungsprogramme gefördert werden.

Alle Bilder: Vincenzo Capodici, Basler Zeitung, 24.04.2015

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2016

Anmerkungen:

1 vom 04.05.2016

2 Zahlen aus dem neuen Buch von Peter Jaeggi und Roland Schmid: Krieg ohne Ende, erscheint im August 2016

3 Zitat aus Washington Post, 08.04.2016, Artikel von Daniel Malloy.
4 Die statistischen Beweise sind längst erbracht.
5 Wenn man außer acht lässt, dass die durch die Entlaubung entstandene Bodenerosion natürlich nicht rückgängig gemacht werden kann.
6 Im menschlichen Körper beträgt sie für das 2,3,7,8-TCDD sieben bis acht Jahre. Die Krankheiten und Behinderungen, die es bis dahin ausgelöst hat, verschwinden allerdings nicht. Vgl. Vera zylka-Menhorn in Deutsches Ärzteblatt 51-52/ 2004
7 hazardous materials suit, spezielle Schutz-Overalls.
8 Das entspricht einer 2 Stockwerke hoch beladenen Fußballfeld-großen Fläche
9 Informationen nach Malloy, a.a.O.
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