Monsanto
unter Druck

Der ehemalige Lieferant
von Agent Orange
hat viel Dreck am Stecken.

Günter Giesenfeld

Monsanto, einer der größten Nahrungsmittel-Konzerne der Welt, hat in den 1960er und 1970er Jahren viele Millionen verdient, als er dem Pentagon u. a. das Herbizid Agent Orange verkaufte. In der Zeit nach dem Krieg hat er sich auf die Produktion von genetisch manipuliertem Saatgut und chemischen Substanzen verlegt, die bei landwirtschaftlichen Nutztieren eine Steigerung der Produktivität bewirken sollen – mit gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen.

Die Firma Monsanto wurde 1901 in St. Louis, Missouri gegründet. Sie ist inzwischen ein multinationaler Konzern und setzte mit 17.500 Angestellten im Jahre 2007 7,5 Mrd. US-$ um. Seit etwa 1997 hat sich der Konzern ganz auf die Entwicklung und Produktion von genetisch manipulierten Pflanzen (GM) konzentriert und diese Entwicklung mit einer ungeheuren Propagandakampagne verbunden, die das Image eines Rettungsengels für die globale Lebensmittelkrise zu installieren versuchte. Mit dem Slogan „Food, Health and Hope“ wurde die rasante Einführung von GM als einzige und wichtigste Waffe gegen den Hunger in der Welt hingestellt. Der Erfolg ist beeindruckend: 2007 sind weltweit schon 100 Mio. Hektar mit genetisch veränderten Kulturen bepflanzt, die Hälfte davon in den USA. Monsanto ist zwar nicht der einzige Hersteller von GM-Saatgut, aber die Firma hält 90 % der Patente dafür. Betroffen sind vor allem Massen-Nutzpflanzen wie Mais, Soja, Baumwolle und Raps. Diese Ausbreitung ist in Europa noch nicht flächendeckend gelungen, aber die britische Regierung wurde schon früh zu einem Unterstützer von GM, in anderen Ländern gibt es vorerst nur Versuchsfelder. Zu einem regelrechten Verbot haben sich in Europa nur die Länder Österreich, Griechenland, Ungarn, Polen und die Schweiz durchgerungen. Die EU ist derzeit noch mehrheitlich pro-GM.

Die Durchsetzung von genmanipuliertem Saatgut wird vor allem mit dem Argument betrieben, daß es resistent gegen allerlei Arten von Unkraut sei, wobei mit hinterhältigen Tricks gearbeitet wird. Die GM-Kulturen sind nicht selbst gegen die Unkräuter resistent, sondern nur gegen ein neues Unkrautvernichtungsmittel, das diese Resistenz erst bewirken soll. Es heißt Roundup und wird ausschließlich hergestellt von Monsanto. Wer also GM-Saatgut aussät, muß auch Roundup kaufen.

Die Klage der vietnamesischen Dioxin-Opfer richtet sich somit gegen eine Firma, die wie keine andere auch in der Gegenwart skrupellos und ohne Rücksicht auf moralische und bevölkerungspolitische Konsequenzen ihre Macht zur Erzielung von Profiten ausübt, die sehr beträchtlich ist. Es kann in unserem Zusammenhang Vietnam nicht die ganze „Monsanto-Story“ ausgebreitet werden, einige Element davon sollen jedoch dazu dienen, auch den Stellenwert des geführten Prozesses etwas deutlicher erscheinen zu lassen.

Agent Orange

Times Beach war einmal ein kleiner Ort in Missouri, ca. 30 km südlich von St. Louis. Times Beach wurde zerstört und planiert, denn es ist ein kontaminiertes Areal, auf dem früher Monsanto Dioxin produziert hat. Planiert und dem Vergessen anheim gegeben wurde damit auch einer der größte Skandale der Chemiebranche in dern USA.

Times Beach war zunächst nur eine Ansammlung von Wohnwagen gewesen, in denen Arbeiter von Monsanto seit den 1930er Jahren wohnten. Ab 1970 entwickelte sich der Ort zu einem kleinen Städtchen. Aber da begann schon die Zeit rätselhafter Vorfälle. Haustiere, Nutztiere und später auch Kinder wurden von einer rätselhaften Krankheit befallen. Die Einwohner sammelten körbeweise tote Vögel auf. Erst nach vielen vergeblichen Eingaben der Stadtverwaltung wurden medizinisch-toxikologische Untersuchungen unternommen, die ergaben, daß der Boden der Stadt eine hohe Konzentration von Dioxin aufwies. Die amerikanische Bundes-Umweltbehörde Environment Protection Agency (EPA) machte diskret weitere Tests, die ziemlich deutlich auf den Verursacher Mon­santo hindeuteten.

„Niemand konnte uns sagen, was das alles für unsere Gesundheit bedeuten könnte“ erinnerte sich später eine Anwohnerin. Die Sache wird überregional bekannt, die Presse dringt in die Idylle ein und die Einwohner haben Angst. Der Bürgermeister tritt zurück, sein Stellvertreter verschwindet plötzlich, später stellt sich heraus, daß er ein hoher Angestellter von Monsanto war. Die Stadt ist dem Untergang geweiht. Sie soll komplett von der Regierung aufgekauft, die Einwohner entschädigt werden. Dann soll sie dem Erdboden gleichgemacht und dieser dann dekontaminiert werden.

Bei der Suche nach den Schuldigen behauptet die EPA, man könne nicht nachweisen, woher die Giftstoffe gekommen seien, weil alle Dokumente über Monsanto (und eine andere involvierte Firma; Russell Bliss) in der Behörde plötzlich verschwunden waren. Das war jedoch kein zufälliges Verschwinden. Der Befehl zur Beseitigung des Beweismaterials war vielmehr von ganz oben gekommen: Präsident Reagan hatte Anweisung gegeben, daß alle Dokumente, die große Industriekonzerne belasten könnten, vernichtet werden sollten.1

Monsanto, inzwischen einer der größten Produzenten von Herbiziden, wußte also aus diesem und vielen anderen Vorfällen, daß sein Produkt, genannt 2,4,5-T2 extrem gefährlich für Umwelt und Lebewesen war.3 Kurz nach dem Vorfall von Times Beach begann die enge Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Militär. Schon 1948 hatte Mon­santo eine Firma für die Produktion solcher Substanzen in Nitro (West-Virginia) eröffnet. Auch dort lief die Produktion nicht ohne Zwischenfälle: 1949 erkrankten 70 Arbeiter an einer bis dahin unbekannten Hautkrankheit. Einige von ihnen wiesen überdies psychopathologische Symptome auf. Monsanto gab eine Untersuchung in Auftrag, deren Ergebnisse bis 1985 geheim gehalten wurden.

Partner für Monsanto und andere Chemiekonzerne war der Chemical War­fare Service der Armee. Bei späteren gerichtlichen Untersuchungen stellte sich heraus, daß der 597 Seiten umfassende Briefwechsel zwischen dieser Stelle und Monsanto 1987 als Secret Defense-Dokumente klassifiziert wurden. Behörden und Wissenschaftler dürfen sie nicht einsehen. „Fakt ist, daß die Handvoll multinationaler Konzerne, die den Markt der Düngemittel und der chemischen Herbizide, im Krieg reich geworden sind.“, schreibt Brian Tokar4 und meint damit den 2. Weltkrieg. Es galt dasselbe für den Vietnamkrieg.

Ranch Hand5

Im zweiten Weltkrieg hatte die US-Army bereits große Vorräte an Giftstoffen (DDT) zur militärischen Verwendung in Europa angelegt. Man hat aber von ihrem Einsatz abgesehen, „wegen der Gesetzeslage und weil man Repressalien des Feindes fürchtete“6. Die Verschärfung des kalten Krieges und der Kampf gegen den „Kommunismus“ ließen solche Hemmungen als überflüssig erscheinen, und in Vietnam kam es dann zum fast unbegrenzten Einsatz von chemischen Giftstoffen. Dessen Einzelheiten sollen hier nicht erneut dargestellt werden.

Hier interessiert vor allem die Verantwortung der Herstellerfirmen (in der Hauptsache Dow Chemical und Monsanto) für die Folgen dieses Einsatzes, um die es ja in dem Prozeß der vietnamesischen Opfer geht. Dabei verweist die Regierung der Vereinigten Staaten oft darauf, daß sie über die schädlichen Folgen des Dioxins erst sehr spät (Ende der 1960er Jahre) informiert worden sei. Ob dies stimmt, sei dahin gestellt. Für diese These spricht, daß die beteiligten Firmen, die jetzt vor Gericht stehen, alles getan haben, um ihnen bekannte Folgen zu vertuschen. Sie „haben bewußt Fakten verschwiegen, die ihnen zur Verfügung standen, um nicht einen sehr lukrativen Markt zu verlieren. Ich habe keine Angst, zu sagen, daß es sich sehr wohl um eine Verschwörung gehandelt hat“, sagt Edward J. Derwinski, Anwalt der amerikanischen Vietnamveteranen. Und Gerson Smoger, Spezialist für Umweltverschmutzungsprozesse (und Verteidiger der Einwohner von Times Beach), der Tausende von Dokumenten gesammelt hat, sagt: „Ich kann beweisen, daß die Haltung von Dow Chemical und Monsanto kriminell war: Einmal weil sie, im Gegensatz zu den Versicherungen ihrer Direktoren, regelmäßig ihre Produkte auf ihren Dioxingehalt getestet, die Resultate dieser Tests aber niemals den medizinischen oder militärischen Institutionen mitgeteilt haben. Und der Fall Monsanto ist besonders schwer, weil das Agent Orange, das die Firma in ihrer Fabrik in Sauget herstellte, den höchsten Anteil an Dioxin von allen vergleichbaren Produkten aufwies.“

Am 22. Februar 1965 gab es sogar eine Gipfelkonferenz der Firmenleitungen von Monsanto, Dow Chemical und Hercules, um „toxikologische Probleme mit einigen hochgiftigen Verunreinigungen bei den Proben von 2,4,5-T“ zu diskutieren. Interne Tierversuche hatten erhebliche Schädigungen an der Leber und anderen Organen ergeben. Man diskutierte vor allem die Frage, ob die Regierung informiert werden solle. Monsanto hatte sich in einem Brief7 an Dow Chemical dagegen ausgesprochen, daß diese Firma anscheinend das Geheimnis lüften wolle. Es wurde auf dieser streng geheimen Konferenz beschlossen, keine Informationen weiterzugeben, und so geschah es mindestens die vier Jahre lang, in denen die Sprühaktionen in Vietnam ihren Höhepunkt erlebten.

Aber mindestens für die Zeit nach 1969 kann die US-Regierung nicht mehr behaupten, nicht auf dem Laufenden gewesen zu sein. Das nationale Gesundheitsamt hatte Versuche an Mäusen durchgeführt, die nach dem Kontakt mit 2,4,5-T Gebärmutterschädigungen aufwiesen und mißgebildete Junge zur Welt brachten. Am 15. April 1970 wurde offiziell das Verbot verkündet, dieses Herbizid „im Umkreis von Seen, Erholungsgebieten, Siedlungen und landwirtschaftlich genutzten Flächen“ einzusetzen, und zwar „wegen der Gefahr für Leib und Leben der Menschen“. In der Diskussion um die Opfer in Vietnam bestand die Regierung trotzdem weiterhin auf ihrer These, die Sprühaktionen hätten nichts zu tun mit den in Vietnam und bei amerikanischen Veteranen beobachteten Folgen.

Von da an betrieb Monsanto eine intensive Kampagne gegen die evidente und sich immer deutlicher auch in der Öffentlichkeit durchsetzende Erkenntnis, daß diese Firmen sehr wohl wußten, welche Folgen sie für ihre Geschäfte in Kauf nahmen. Die erste Klage gegen die Firma erfolgte nicht wegen der Versprühungen in Vietnam, sondern wegen eines Eisenbahnunfalls in Sturgeon, Missouri, der sich am 10. Januar 1979 ereignete. Ein Zug entgleiste, und 17.000 Liter Chlorophenol flossen aus. Die EPA ermittelte, daß die Substanz Dioxin enthält. 65 Einwohner der Ortschaft klagten gegen Monsanto in einer class action8. Gleichzeitig klagten Hunderte von US-Vietnamveteranen, die an Krebs und andren Krankheiten litten, ebenfalls gegen Monsanto.

Die Konzernleitung erkannte die Gefahr dieser Klagen und arbeitete eine sehr aufwendige und komplexe Verteidigungslinie auf, die sich vor allem auf zwei Argumente stützt:

    - Einmal die offenbar unhinterfragt in der Wissenschaft anerkannte These, daß Dioxin überall in der Natur vorhanden sei, so auch in der US-amerikanischen Bevölkerung, deren Umwelt und deren Nahrung. Monsanto ließ heimlich in St. Louis auf dem Friedhof Leichen von Verkehrsunfallopfern ausgraben und auf Dioxin untersuchen. Und siehe da, die Proben enthielten Dioxin, wenn auch in sehr geringen Dosen.
    - Das zweite Verteidigungsargument leitet sich aus dem ersten ab: Wenn man von der Allgegenwart des Dioxin ausgehe, sei es sehr schwierig, eine epidemiologische Untersuchung durchzuführen, weil es praktisch unmöglich sei, eine völlig unbelastete Vergleichsgruppe zu finden. Außerdem müßte man dann massenhafte und genau dokumentierte Untersuchungsergebnisse aus früheren Jahren haben. Und die einzige Institution, die über solche Daten verfügt, ist – Monsanto! So kann der Konzern unbesorgt aktiv werden und Untersuchungen in Auftrag geben, die von einigen unabhängigen, vor allem aber firmeneigenen Experten an firmeneigenem Material durch geführt werden und deren Ergebnisse man nach Gutdünken manipulieren kann. George Roush, medizinischer Direktor von Monsanto, hat sie 1980, 1983 und 1984 in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, und ihre Ergebnisse waren die erwarteten: Es gebe keinen Zusammenhang zwischen 2,4,5-T und Krebs!

Seither gelten diese Untersuchungen als das letzte, autoritative Wort der Wissenschaft, und die Veteranen hatten keine Aussicht mehr auf Erfolg. Bei der entsprechenden Verhandlung am 7. Mai 1984 legten die Vertreter von Monsanto einen Scheck über 180 Mio. US-$ auf den Tisch und verließen als Sieger den Gerichtssaal. Vorsitzender Richter war Jack Weinstein, eben derselbe, der die Klage der vietnamesischen Opfer abgelehnt hat.

Blieb noch die Sammelklage „Kemmer vs. Monsanto“. Dieser Prozeß lief ab, als sei er ein in Hollywood konzipierter Politthriller. Das Wallstreet Journal berichtete im Januar 1987 ausführlich über diesen „längsten Prozeß in der Geschichte der USA“: „Monsanto wird von zehn Anwälten vertreten, die einander alle vier Stunden ablösen, um die Verhandlungen durchzustehen.“ Sie verfügten über unbegrenzte finanzielle Mittel, weil es hier um einen negativen Präzedenzfall ging, der alle potentiellen Kläger entmutigen sollte. Ihre Taktik war ganz einfach, den Prozeß so ungehemmt in die Länge zu ziehen, daß am Ende kaum mehr eine akzeptable Entscheidung herbeigeführt werden konnte. „Eine so böswillig verzögerte Gerechtigkeit ist eine verweigerte Gerechtigkeit“, schrieb die Zeitung North Eastern Reporter. Nach acht Wochen täglicher Verhandlungen erging das Urteil: An Entschädigung wurde den Klägern je 1 (ein!) Dollar zugesprochen, eine symbolische Summe, die damit begründet wurde, daß sie den Zusammenhang mit ihrem Krankheitsbild und dem Unfall nicht hätten beweisen können. Monsanto wurde zu einer Zahlung von 16 Mio. US-$ verurteilt, aber nur deshalb, weil die Jury fand, die Firma sei unverantwortlich leichtsinnig mit den gesundheitlichen Risiken des Dioxins umgegangen. Mon­santo ging in Berufung und wurde freigesprochen, weil man keine Schadensersatzansprüche stellen könne, wenn der Zusammenhang nicht bewiesen sei. Später stellte sich heraus, daß die wissenschaftlichen Untersuchungen von 1980 bis 1984, auf die sich das Gericht bei der Beurteilung der Klagen berief, manipuliert waren. Wären sie korrekt durchgeführt und ausgewertet worden, hätten sie genau die gegenteiligen Ergebnisse gehabt. Aber eine offizielle Revision ist nicht möglich, weil diese Unterlagen Eigentum von Monsanto sind und eine Überprüfung verweigert wird.

So bezieht sich noch heute die Regierung im Prozeß der vietnamesischen Opfer auf solche Studien, und Richter Weinstein formuliert in seiner Ablehnungsbegründung zynisch: „Wenn die Tatsache, Herbizide zu verkaufen, ein Kriegsverbrechen darstellte, dann hätten die Produzenten sich weigern können, sie zu liefern. Wir sind eine Nation von freien Frauen und Männern und gewohnt, uns sofort dagegen zu stellen, wenn die Regierung die Grenzen überschreitet, die ihre Autorität ihr setzt.“

Roundup

Roundup heißt soviel wie „Razzia“ und ist der Name, den Monsanto seinem neuen Unkrautvernichtungsmittel gab, das weitgehend aus Glyphosat besteht. Diese Chemikalie wurde aus einer Aminosäure (Glycin) in St. Louis Ende der 1960er Jahre entwickelt. Es ist kein selektives Herbizid, sondern zerstört jegliche Form von Vegetation, weil es von allen Pflanzen aufgenommen und bis in die Wurzeln verbreitet wird. Die Pflanze stirbt ab. Roundup wurde 1974 auf den Markt gebracht und war sofort ein Riesenerfolg in den USA. Mit diesem neuen Produkt will der Konzern seitdem gezielt gegen das negative Image angehen, das ihm die verschiedenen Prozesse trotz der juristischen Siege eingebracht haben. Deswegen wird die Werbung ganz auf den Themenbereich „Umwelt“ konzentriert: „Umweltverträglich“, „zu 100 % biologisch abbaubar“, „hinterläßt keine Rückstände im Boden“, sind die weltweite verbreiteten Slogans. Solche Versprechen haben dazu beigetragen, daß die Farmer in den USA das Produkt massenhaft kauften und einsetzten. Auch Stadtverwaltungen „säuber­ten“ damit öffentliche Parks und Grünflächen. Mit Schutzanzügen wie Astronauten gingen überall die Bediensteten auf die Jagd nach dem „Wildwuchs“. Ihre spektakulären Outfits mußten die Arbeiter allerdings alle zwei Wochen wegwerfen, denn das Mittel zerfraß den Gummi. Damals wurden schon Zweifel an seiner Harmlosigkeit laut.

Während dessen liefen im Fernsehen Werbespots, in denen man den Familienvater in Shorts beim Versprühen von Roundup sah, während nebenan die Kinder im Gras spielten. Im Jahre 1993 sponsorte Monsanto freiwillige Spontaneus Weed Attack Teams (SWAT). „Die Idee dahinter ist, eine allgemeine Phobie gegen Unkraut in der Öffentlichkeit hervorzurufen und Roundup als eine Marke der sozialen Verantwortung zu positionieren“, urteilt das Institute for Agriculture and Trade Policy in Minnesota9.

Bald erschienen vereinzelt Studien, die negative gesundheitliche Folgen von Roundup behaupteten und bewiesen. Ihre Urheber wurden regelmäßig von der Firma verleumdet und die EPA vertrat in dieser Zeit eher nicht die Interessen von Umweltschützern. Die Direktorin der Abteilung für Pestizide und giftige Substanzen der EPA ging 1995 als Chef-Lobbyistin für Monsanto nach New York und wurde 2001 wieder als Vizedirektorin an die EPA zurückberufen. Diese allenthalben praktizierte enge Verflechtung zwischen der großen Industrie und der Regierung nennt man in den USA das Prinzip der revolving doors (Drehtüren). Insofern ist es nicht verwunderlich, daß sich Monsanto fast immer, wenn es sich gegen neue Vorwürfe aufgrund neuer unabhängiger Untersuchungen wehren mußte, bei der EPA zuverlässige Unterstützung fand.

1996 warf allerdings zum ersten Mal eine staatliche Institution, nämlich das Justizministerium, Monsanto „lügenhafte Werbung über die Sicherheit des Herbizids Roundup“ vor. In einem außergerichtlichen Vergleich mußte sich die Firma verpflichten, ihre entsprechenden Werbesprüche zu unterlassen. Wenig später wurde Monsanto erneut verurteilt, weil die Firma behauptet hatte, man könne Roundup auch in unmittelbarer Nähe von Trinkwasserquellen benutzen, und zwar zu einer Buße von 75.000 US-$ – zahlbar aus der Portokasse. Diese Urteile betrafen wohlgemerkt nur die irreführende Werbung, der Verkauf lief natürlich unbehindert weiter.

Die Affaire Roundup, die keineswegs zu Ende ist, hier nur sehr verkürzt dargestellt werden kann und überdies nur eine von vielen ist, beweist, daß „Monsanto ein Paradigma ist für die Irrwege, in die sich die Industriegesellschaft verlaufen hat, weil sie auf sich gestellt ist bei der ungehemmten – und damit automatisch umweltschädlichen – Verbreitung von chemischen Giften, die den Planeten seit dem 2. Weltkrieg immer weiter überschwemmen.“10 Inzwischen sind die Beweise, daß Roundup die menschlichen Fortpflanzungsorgane beeinträchtigen kann und weitere schwere Gesundheitsschäden verursacht, unwiderlegbar, aber nur wissenschaftlich. Vor den Gerichten macht Monsanto dasselbe wie beim Dioxin: leugnen, Zeit gewinnen, durch alle Instanzen gehen, so daß der Profit so lange fließt wie irgend möglich.

Gentechnik

Wie erwähnt, tötet Roundup alle Pflanzen, die mit ihm „behandelt“ werden, also auch die eigentlich vor Unkraut zu schützenden Nutzpflanzen. Damit das nicht geschieht, hat man einen Weg gefunden, diese (zumeist Mais oder Baumwolle) gegen das Herbizid immun zu machen, und zwar mit Hilfe der Gentechnik. Genmanipulierte Pflanzen (GM) sind deshalb das ideale Pendant zu Roundup: Wer letzteres benutzen will, muß erstere kaufen. Damit hat sich Monsanto auf den Weg begeben zur weltweiten Beherrschung des Lebensmittelmarktes. Denn die massenhafte Propagierung von GM-Saatgut hatte zur Folge, daß in vielen Ländern Teile der Landwirtschaft nun völlig von den Produkten des Konzerns abhängig sind.

Beim Streben nach der absoluten Macht über die Nahrungsproduktion der Menschheit setzt Monsanto Zwangsmittel ein, die bereits schwere soziale Konsequenzen sichtbar werden lassen. In den USA und Europa wird der Kampf gegen die immer weniger werdenden „Inseln“ einer natürlichen biologischen Produktion systematisch vor den Gerichten geführt. Wenn ein solcher Anbau durch Wind oder Pollenflug gegen den Willen des Bauern und ohne daß dieser es verhindern könnte, mit GM-Saatgut „infiziert“ wird, verlangt die Firma, das dieser an sie dieselben Gebühren bezahlt, so als hätte er das Saatgut bei ihr gekauft, und setzten bis vor kurzem solche Forderungen vor Gericht stets durch.

In anderen Ländern (Brasilien, Indien) wurde (mit Mitwirkung der jeweiligen Regierungen) GM-Saatgut so massiv propagiert, daß arme Bauern sich mit dem obligatorischen Kauf von Saatgut zu Tausenden zugrunde richten – vor allem weil dieses Saatgut nur einmal benutzt werden darf, also keine Vorräte davon beiseite gehalten werden dürfen für die Aussaat im nächsten Jahr. Auch dieser „Vertragsbruch“ wird gnadenlos gerichtlich geahndet.

Erfolgreich kann eine solche Rücksichtslosigkeit nur sein, weil die Gentechnik fast auf der ganzen Welt als der Inbegriff des Fortschrittlichen in der Wissenschaft gilt. Marie-Monique Robin hat bei ihren Interviews etwa mit französischen Wissenschaftlern erfahren, daß eine kritische Haltung gegenüber GM sehr schädlich für die Karriere sein kann, so daß auch qualifizierte Forscher, ebenso wie Politiker, solche Kritik bewußt bei sich behalten, oder wenig geneigt sind, kritische Befunde oder Fragen zu erforschen oder gar publik zu machen..

Aber dies hat sich in den letzten Monaten anscheinend geändert. Nicht nur viele Betroffene, Farmer in den USA oder arme Bauern in Indien wehren sich inzwischen organisiert gegen das GM-Diktat, auch prominente Personen ergreifen das Wort. So der britische Thronfolger Prinz Charles, der seit einiger Zeit mit sehr deutlichen Aktionen und Worten gegen die Gentechnik zu Felde zieht. Er läßt die Behauptung der Monsanto-Werbung nicht gelten, daß die Produkte dieser Firma eine starke Waffe im Kampf gegen den Hunger seien, sondern spricht deutlich aus, daß die Firma damit „Millionen Menschen in den Hunger treibt und treiben wird.“ Und keineswegs sei die GM-Landwirtschaft ertragreicher als die herkömmliche. Wäre man ausschließlich auf GM angewiesen, würde man im Jahr 2050 nur noch ein Zehntel der Erdbevölkerung ernähren können. Er verweist auf Untersuchungen zum Ertrag, die in Brasilien und Äthiopien klar bewiesen hätten, daß GM-Pflanzen weit weniger ertragreich sind und GM-Kulturen weit mehr Geld kosten als die herkömmlichen Anbaumethoden, wenn man alle Möglichkeiten der natürlichen Zucht und Kreuzung einsetzt.

Prompt wurde der Prinz angegriffen, von der Industrie ebenso wie von Regierungsvertretern und der Presse. Er sei kein Fachmann, sondern ein naiver Maschinenstürmer, und er sei zu reich, um das Recht zu haben, für die Armen zu sprechen! Aber auch sehr angesehene Institutionen polemisierten gegen ihn, so Robert Watson von der UN-Kommission zur Zukunft der Landwirtschaft, die schon stets eine Verfechterin der GM-Technik war.

Der Prinz läßt sich davon nicht beeindrucken. In seiner berühmten Sir Albert Memorial Lecture in Neu Delhi am 2. Oktober 2008 griff er unter Hinweis auf die Tausende von indischen Bauern, die sich umgebracht haben, weil sie keine Lebensperspektive mehr hatten, einen Ausspruch von Mahatma Gandhi auf: „In der Welt herrscht jetzt der Kommerz ohne Moral, eine Wissenschaft ohne Menschlichkeit“.

Gerade in betroffenen Ländern und unter betroffenen Menschengruppen, also Bauern, Farmern und Lebensmittelkonsumenten hat sich in den letzten Monaten ein Widerstand entwickelt, der sch in unzähligen kleinen und großen Gruppen organisiert. Seitdem verliert Mon­santo mehr Prozesse als die Firma gewinnt. In einem der wichtigsten Agrarstaaten, Kalifornien, wurde die Praxis, Farmer zu verklagen, die unfreiwillig durch Windübertragung GM-Pflanzen auf ihren Feldern vorfanden, schlicht verboten. Gouverneur Schwarzenegger unterschrieb das sogenannte Gesetz AB541 am 27. September 2008. Es untersagt auch die bisher legale Praxis des Ausspionierens von Feldern durch Angestellte von Monsanto.

„Dies ist ein guter erster Schritt zu der Erkenntnis, daß Monsanto – und nicht die Farmer – verantwortlich ist für die ökonomischen, gesundheitlichen und Umweltschäden, die ihre patentierten und unkontrollierten Produkte anrichten“ sagte Renata Brillinger vom Genetic Engineering Policy Project.

Es entstand in den USA eine einflußreiche Organisation, die Soil Association, die sich vor allem um die Aufklärung der Verbraucher kümmert. Ihr Vorsitzender, Lord Melchett, sagt: „Je mehr US-Verbraucher über GM erfahren, umso weniger wollen sie solche Produkte kaufen.“ Er schätzt die gegenwärtig laufenden Kampagnen gegen GM als „Anfang von Ende für GM“ ein. Das ist vielleicht eine zu optimistische Sicht, obwohl eine Umfrage jetzt ergab, daß 85 % der US-Amerikaner für eine Kennzeichnung der Produkte als genmanipuliert sind und 53 % solche Produkte niemals kaufen würden. Aber mächtige Regierungen (die der USA und Großbritanniens vor allem) sowie internationale Organisationen (wie die WTO) propagieren nach wie vor GM.

Chance für die vietnamesischen Opfer?

Monsanto gerät also unter Druck, hat aber immer noch so viel Macht, daß es sich der Attacken erwehren kann. Trotzdem kann man von einem Meinungs-Wandel in der Öffentlichkeit sprechen, der sich gegen die chemischen und Lebensmittelkonzerne richtet und allgemein gegen genmanipulierte Nahrungsmittel. Die Rückbesinnung auf die chemische Kriegsführung der US-Army und die Rolle der Industrie dabei könnten jetzt auf eine größere Beachtung treffen als noch zu Beginn des Prozesses.

Die Firmen konnten bislang damit rechnen, daß die Regierung ihnen bedingungslos den Kopf freihält und daß sie jede neue Anschuldigung lange genug in Gerichtsverfahren hinauszögern können, bis genügend Profite gemacht worden sind. Dann ist nämlich meist schon ein neues Produkt auf dem Markt, und das Ganze geht von vorne los: Erst glaubt man den Werbekampagnen, dann werden sie durch immer häufigere Tests widerlegt, bis diese schließlich eingestellt werden müssen. Aber die Produktion geht immer noch weiter. Dann kommen konkrete Entschädigungsklagen, und die werden ebenfalls so lange „ausgesessen“ wie es geht und dann mit außergerichtlichen Geldzahlungen abgewendet.

Mit der neuen, in den USA und auf der ganzen Welt jetzt sehr populären Kampagne für die Auszeichnungspflicht für GM-Produkte hat dieses Spiel eine andere Qualität erreicht: Jetzt geht es um das öffentliche Interesse und um die Aufklärung der Verbraucher, ohne deren Bereitschaft zu kaufen keine Profite gemacht werden können. Deswegen der beharrliche Widerstand gegen diese Auszeichnungspflicht, die die Regierungen der USA und Großbritanniens durch Moratorien bislang verhindern. Gefährlich sind auch neue Bestrebungen wie die Initiative der organisierten Natural Food Producers, dann eben die nicht-genveränderten Produkte entsprechend zu kennzeichnen (eine Forderung, die Präsidentschaftskandidat Obama im Wahlkampf unterstützt hat).

Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Stimmungswandels in der Öffentlichkeit, der im Zusammenhang zu sehen ist mit der Hoffnung auf einen Politikwandel durch den neu gewählten Präsidenten, erklärt sich auch das Aufsehen, das der Besuch der drei Agent Orange-Opfer aus Vietnam in den USA erregt hat. Damit ist nicht schon eine Hoffung gerechtfertigt, die Opfer könnten ihren Prozeß nun doch gewinnen. Die Komplizenschaft zwischen Administration und den Konzernen ist noch ungebrochen. Aber es könnte sein, daß ein negatives Urteil öffentliche Kritik hervorrufen könnte von einem Ausmaß, das vorher undenkbar war.

Zum Schluss eine gute Nachricht

Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), Prof. Beate Jessel hat sich sehr deutlich gegen den Anbau von GM-Kulturen in der Bundesrepublik ausgesprochen. Zumindest müßten „Naturparks, und Gebiete, die für den Erhalt geschützter und seltener Arten von Bedeutung sind, vom Anbau transgener Pflanzen freigehalten werden.“ Generelle Anbau-Verbote am Rande sensibler Gebiete seien denkbar, um die natürlichen Pflanzen zu schützen.

„Die Gentechnik hat kein Monopol auf resistente Pflanzen“, betonte sie und verwies auf erfolgreiche Züchtungen widerstandsfähiger Sorten. Gleichzeitig stellt sie die Wirksamnkeit von GM in dieser Hinsicht in Frage. Vor allem wisse man noch zu wenig über die tatsächlichen Auswirkungen von GM-Kulturen auf die Natur. Nur längerfristige Untersuchungen und Mehrgenerationen-Tests könnten hier Klarheit schaffen. Auch in mehr als 15 Jahren der Erforschung habe nicht nachgewiesen werden können, daß GM wirklich die Erträge steigere, auch die Preise für die Verbraucher seien nicht gefallen und die Lebensmittel mit GM seien nicht gesünder als die traditionellen.

Die Präsidentin stellt vor allem den Nutzen von GM für die Entwicklungsländer in Frage. Dort „stünden traditionelle Anbaumethoden und angepaßte Pflanzen zur Verfügung, die auch unter klimatisch ungünstigen Bedingungen eine Versorgung sichern können“. Überdies werde gern übersehen oder verschwiegen, daß „Ertragssteigerungen in der Intensivlandwirtschaft durch einen hohen Input an Pflanzendünger, chemischen Bekämpfungsmitteln und fossilen Brennstoffen erkauft werden“.11

Anmerkungen:
1 Diese hier etwas vereinfacht dargestellten Fakten sind entnommen dem Buch von Marie-Monique Robin: Le monde selon Monsanto. Paris 2008. Alle im Folgenden nicht weiter belegte Zitate stammen aus diesem Buch. Es erschien kurz nach der Entstehung eines gleichnamigen Films der Autorin, der bei arte lief und auch auf deutsch (Titel: Monsanto. Mit Gift und Genen) bei der arte edition (absolut medien) als DVD erworben werden kann für € 19,80. www.arte-edition.de.
2 Dieses war nicht das einzige von Monsanto produzierte „Entlaubungsmittel“. Es gab eine Reihe von Versuchs-Vorprodukten, die schließlich zu dem später als Agent Orange bekannt gewordenen Standardprodukt führten.
3 Auch die europäischen Vorfälle (Seveso z. B.) werden hier nicht erwähnt.
4 The Monsanto Files, in: The Ecologist, Sept/Okt 1998 und Agribusiness, biotechnology and war, Institute for Social Ecologa, 2. Dez. 2003 Internet: www.social-ecology.org/ 5 Ranch Hand war der offizielle Codename für die chemischen Sprühaktionen der US-Army.
6 William Buckingham jr.: Operation Ranch Hand. The Air Force and herbizides in Southeast Asia, 1962-1971. Office for Air Force History, Washnington 1982, S. III
7 der Smoger vorliegt
8 Sammelklage Kemmer vs. Monsanto
9 Sustainable Agricultural Week, 11. April 1994
10 Marie-Monique Robin, S. 87
11 FR, 29.12.2008

Quelle: Reuters, 28.12.2008 (Ulf Laessing)
Ich danke dem Generalsekretär der britisch-vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft
und Prinz Charles-Fan Len Aldis für wertvolle Hinweise.

Illustrationen: Kampagnenmaterial der Vietnam Agent Orange Relief & Responsibility Campaign (VAORRC)

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2008

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