Nhan Interview

„Es geht nicht nur
um Geld“

Die „Vereinigung der Agent Orange-Opfer
in Vietnam“

gg

Mit Prof. Nguyen Trong Nhan sprachen Günter Giesenfeld und Marianne Ngo

In der letzten Nummer des Viet Nam Kurier berichtete Karl-Rainer Fabig über eine Klage, die drei Opfer der chemischen Kriegsführung der USA in Südvietnam vor einem Gericht in New York erhoben haben. Dies war eine der Initiativen, die von einer neu gegründeten Organisation ergriffen wurde. Die Forderung nach Entschädigung, die mit diesem Prozeß verbunden ist, hat inzwischen ein weltweites Echo gefunden.

Wann wurde Ihre Organisation gegründet und was ist Ihre Aufgabe im Rahmen ihrer Aktivitäten?

Unsere Organisation ist am Beginn dieses Jahres gegründet worden. Es ist eine NGO. Aber es gab schon früher Institutionen und Organisationen, die sich um die Opfer von Agent Orange kümmerten, unter ihnen vor allem das vietnamesische Rote Kreuz.

Als ich 1992 zum Gesundheitsminister ernannt wurde, gab es innerhalb des Roten Kreuzes, dessen Vorsitzender ich auch war, ein Komitee für die Dioxinopfer. Dessen Leiter Herr Le Cao Dai selbst ein Agent Orange-Opfer war. Er war selbst ein Wissenschaftler und kannte auch viele ausländische Forscher auf diesem Gebiet. Er ist dann an den Dioxinfolgen gestorben. Als Leiter des Roten Kreuzes und Gesundheitsminister habe ich diese Arbeit besonders intensiv unterstützt. Wir wollten, daß die Opfer dieses chemischen Krieges nicht allein blieben und daß sie die Hilfe bekamen, die uns möglich war. In diesem Komitee arbeiteten praktisch alle mit, die in irgend einer Weise Erfahrungen und Wissen um diese Angelegenheit hatten, so z.B. auch Prof. Vo Quy, der ein ausgewiesener Fachmann ist. Unsere Arbeit war vor allem dadurch beeinträchtigt, daß wir auch nach der Normalisierung der Beziehungen aus den USA keine Dokumente erhielten, die es uns erlaubt hätten, über die Ursachen und über die erblichen Folgen zu forschen. Außerdem konnte der Staat nur begrenzte Mittel dafür aufbringen.

Wer repräsentiert die neue Organisation und warum wurde sie gerade jetzt gegründet?

Unser offizieller Name ist „The Vietnam Association for Victims of Agent Orange/Dioxin“ (VAVO). Präsident ist Mr. Van Hu Nghiem, ich bin Vizepräsident, zuständig für die Pflege von Kontakten nach außen. Frau Nguyen Thi Binh, frühere Vizepräsidentin der SRV, davor Außenministerin der Provisorischen revolutionären Regierung in Südvietnam und Verhandlungsführerin der Befreiungsfront bei den Pariser Verhandlungen 1968-1973.

Waren die neuen Erkenntnisse über den Umfang der Vergiftungsaktionen der USA1 der Anlaß für die Gründung der Vereinigung?

Nein, es gab da keinen direkten Zusammenhang. Der eigentliche Grund ist, daß schon seit vielen Jahren Vertreter unseres Landes (Politiker, Wissenschaftler) den USA Vorschläge machen wie eine Entschädigung organisiert werden könnte, aber die US-Regierung antwortete nicht. Deshalb wurde die Organisation Anfang dieses Jahres gegründet. Unsere Vereinigung will die Forderung nach Entschädigung immer wieder vortragen. Dabei geht es uns vor allem darum, durch materielle Hilfe, aber auch durch wissenschaftliche Zusammenarbeit den jetzt noch lebenden (und leider auch: den künftigen) die beste mögliche Behandlung und Hilfe zukommen zu lassen.

War dies das erste Mal, daß vietnamesische Opfer sich in einer offiziellen Form öffentlich an die USA um Hilfe gewandt haben?

Nein. Ich will Ihnen das an einem persönlichen Erlebnis zeigen. Als der US-Präsident Clinton im November 2000 seinen offiziellen Staatbesuch in Vietnam machte, hatte ich die Ehre, ihn kurz zu treffen. Da keine Zeit war für ein ausführliches Gespräch, habe ich ihm einen Brief und Dokumente mitgegeben, in dem ich Vorschläge machte, wie man den vietnamesischen Opfern gemeinsam helfen könnte. Clinton hat mir geantwortet, aber erst, als er seine Amtszeit beendet hatte, und in dem Brief waren keine konkreten Vorschläge enthalten (siehe den Wortlaut beider Briefe in diesem Heft). So ist es bis jetzt mit allen Vorschlägen gegangen, obwohl es doch für ein reiches Land wie die USA leicht wäre, die geringen Summen aufzubringen, mit denen hier effektive Hilfe geleistet werden könnte. Aber es geht nach wie vor um das Eingeständnis des Zusammenhangs zwischen den „Entlaubungsaktionen“ und den in Vietnam so furchtbaren und langfristigen Folgen.

Aber in den USA haben doch ebenfalls betroffene Opfer, Veteranen des Vietnamkriegs, Entschädigungen erhalten.

Ja. Damals mußten die US-Firmen 180 Mio. $ an die Veteranen bezahlen. Dies geschah aber nicht infolge eines Gerichtsurteils, sondern die Verfahren wurden durch einen außergerichtlichen Kompromiß beendet. Die Regierung und die Firmen wollten nicht, daß gerichtlich ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz des Dioxins und den Mißbildungen und Krankheiten festgestellt wird. Dies war ein Prozeß zwischen Veteranen und den Firmen im Jahre 1984, und das ist 20 Jahre her. Damals erkannte die US-amerikanische Akademie der Wissenschaften den Zusammenhang zwischen den Sprühaktionen und den Erkrankungen nicht an.

Warum sind die Chancen eines Prozesses in den USA jetzt besser?

Im Jahre 1991 haben die Akademie der Wissenschaften und andere Institutionen in den USA eben diesen Zusammenhang nachgewiesen. Das ist eine neue Situation. Die US-Regierung muß jetzt diesen Zusammenhang auch anerkennen, denn es gibt keine wissenschaftlichen Argumente mehr dagegen. Für die US-Veteranen kommt dies zu spät, denn sie haben bei dem Vergleich auf alle Rechte verzichtet.

Gegen wen sollen Sie den Prozeß führen? Und mit welchem Ziel? Um möglichst viel Geld zu erhalten?

Unsere Vereinigung will, daß die amerikanischen Firmen angeklagt werden, die das Agent Orange produziert haben. Es ist eine Zivilklage. Mit ihr wollen wir erstens die Verantwortung dieser Firmen öffentlich anprangern. Zweitens ist es natürlich, daß sie Geld an die Opfer bezahlen müssen. Es soll vor allem für die Opfer selbst zur Verfügung stehen. Außerdem hoffen wir, daß es eine bessere Aufklärung seitens der USA über die Sprühaktionen gibt, so daß wir auch zukünftige Gefahren besser einschätzen können (verseuchte Gebiete, Erbschäden und ihr Auftreten über die Generationen hinweg). Um diese Ziele zu erreichen, sehen wir unsere Aufgabe auch darin, die Weltöffentlichkeit mit diesem noch nicht abgeschlossenen Kapitel des Krieges zu konfrontieren. Wir verfassen Aufrufe, haben einen „Brief an das amerikanische Volk“ geschrieben (s. S. 10). Und jetzt kommen auch mächtige Aktionen, die im Ausland initiiert werden, so etwa eine Petition, die in ganz Europa schon Hunderttausende unterschrieben haben, usw.

Wie groß ist die Zahl der Opfer?

Die Anzahl der Agent Orange-Opfer wird von uns auf 3 bis 4 Millionen geschätzt. Wir beziehen uns dabei auch auf aus den USA stammende Dokumente, so die Artikel des Forscherpaares Stellmann2. In den USA sind 9 % der Veteranen betroffen, also etwa 200.000 Opfer.“

Jeder weiß, daß Prozesse vor US-amerikanischen Gerichten sehr teuer werden können, vor allem weil gute Anwälte Honorare in astronomischen Höhen verlangen. Haben Sie solche Anwälte engagiert und wie wollen Sie sie bezahlen?

Ja, und sie sind schon hier in Vietnam gewesen und haben mit uns gesprochen. Sie gehören der Association of democratic Lawyers of America an. Sie haben von Mitte Juni bis Mitte Juli auch mehrere Opfer besucht Ja, wir wissen, daß amerikanische Anwälte sehr teuer sind. Aber in diesem Prozeß finanzieren sie die Vorbereitungen der Prozesse aus eigener Tasche vor. Nur wenn wir gewinnen und Geld erhalten, dann erhalten sie ihr Honorar. Es ist ein ‚Payment on success’ mit ihnen vereinbart. Viele von ihnen haben an Demonstrationen teilgenommen, sie sind progressive Anwälte. Wenn sie nicht wären, dann könnten wir die Prozesse schon aus finanziellen Gründen nicht führen, so ist das Gerichtssystem in den USA.

Und wie bezahlen Sie Ihre Aktivitäten hier in Vietnam?

Da wir eine NGO sind, erhalten wir als Organisation kein Geld vom Staat. Wir sammeln Geld im ganzen Land. Wir haben auch sehr viele Mitglieder, nicht in dem formalen Sinn, mit Mitgliedskarte und Beiträgen. Manche Mitglieder bezahlen. Wir organisieren uns im ganzen Lande. Wir verlangen von den Opfern, die sozusagen automatisch unsere Mitglieder sind in dem Sinne, daß wir für sie da sind, keinen Beitrag für die Mitgliedschaft. Denn sie sind in der Regel sehr arm und brauchen eher selbst Hilfe. Auch sind viele Opfer so krank, daß sie geistig behindert sind. Trotzdem sind wir auch für die zuständig.

Haben Sie internationale Kontakte, oder auch Mitglieder im Ausland?

„Wir arbeiten vorerst nur in Vietnam. Vielleicht gibt es in Zukunft eine internationale Zusammenarbeit zwischen Opfern in der ganzen Welt. Wir haben schon Kontakte zu US-amerikanischen Veteranenorganisationen. Manche von ihnen arbeiten hier in Vietnam eng mit uns zusammen, z. B. in den „Friedensdörfern“, die von US-amerikanischen Veteranen betrieben werden, auch von Menschen aus anderen Ländern inklusive Deutschland.

Welches sind Ihre persönlichen Motive und was ist Ihre Arbeit in der Vereinigung?

Ich bin selbst kein Opfer, ich war im Krieg hier im Norden, als Direktor dieser Klinik von 1964-1995. 1992 bis 1995 war ich außerdem noch Minister und Vorsitzender des Roten Kreuzes. In diesen Funktionen habe ich dauernd mit diesen Opfern zu tun gehabt, als Arzt und oft auch als Freund, Betreuer und Analytiker. Da ist ihr Schicksal für mich zu einer Lebensaufgabe geworden. Außerdem kann ich nicht nur als Arzt etwas für sie tun. So hat die Vereinigung hier in meiner Klinik die Möglichkeit, sich zu versammeln und Räume für ihre Arbeit zu haben. Das ist auch gut für mich, denn ich brauche nur ein paar Schritte zu tun, um vom Klinikdirektor zum Mitarbeiter der Vereinigung zu werden.

Kann man den Opfern medizinisch helfen?

Manchmal ja. Jedes Jahr treffe ich viele von ihnen im ganzen Land, die wir durch Operationen soweit geheilt haben, daß sie ein einigermaßen normales Leben führen können. Die kostenlose Hilfe und Behandlung, die wir ihnen bieten können, ist sehr wichtig für sie. Vor allem bei Kindern ist es sehr wichtig, daß Mißbildungen sehr früh operativ behandelt werden.

Was können Sie weiterhin für diese Opfer tun, um ihnen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen? Kann man z. B. behinderte Kinder soweit ausbilden, daß sie später ihren Lebensunterhalt verdienen können?

Wir wissen, daß die medizinische Hilfe nur eine Seite ist. Es muß diesen Opfern auch eine berufliche Perspektive ermöglicht werden. Deshalb ist Berufsausbildung eine unserer wichtigsten Aufgaben. Dies gilt nicht nur für die Kinder, sondern auch für Veteranen, damit sie sich nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Für jeden Fall muß eine individuelle Lösung gefunden werden: Handwerk wie Schreiner oder Schneider, Arbeit in bestimmten Betrieben, ja auch künstlerische Berufe, alles kommt in Frage.

Gibt es, wie bei uns, Subventionen für die Betriebe, in denen Behinderte beschäftigt werden?

Nein, das ist hier nicht so. Subventionen werden stets direkt an die Opfer bezahlt. Wenn sie gar nicht arbeiten können, erhalten sie Unterstützung. Bis vor kurzem waren dies 100.000 Dong, seit Juli dieses Jahres ist die Subvention erhöht worden auf 300.000 Dong im Monat. Solche Behinderten die nicht arbeiten können, verkaufen manchmal auch Sachen auf der Straße. Wenn sie dies legal tun, erhalten sie auch eine Unterstützung, etwa 170.000 Dong.

Anmerkungen:
1 Artikel in der Zeitschrift Nature, siehe Viet Nam Kurier 2-2003
2 Siehe Viet Nam Kurier 2-2003, S. 31.

Gespräch am 13. August 2004
in der Augenklinik Hanoi

Veröffentlicht im Vietnam Kurier 2/2004

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